Kaninchen im Stall - ein "Stallhase"
9. August 2021
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5 Minuten

Eine kontroverse Betrachtung

Hauskaninchen gibt es noch gar nicht so lange. Erst vor ca. 1500 Jahren begann die systematische Entwicklung einer domestizierten Form des Wildkaninchens. Kaninchen leben also, verglichen mit zum Beispiel den Hunden, erst seit kurzer Zeit mit den Menschen zusammen.

Das Ziel der Domestizierung war dabei ganz eindeutig die Fleischgewinnung, an Heim- und Kuscheltiere hat damals noch niemand gedacht. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war die Fleischgewinnung der Hauptzweck der Kaninchenhaltung und -züchtung. Die Entwicklung der unterschiedlichen Kaninchenrassen war auch hauptsächlich vom Ziel einer möglichst großen Fleischproduktion geprägt. Daneben spielte noch die Fell- und Wollgewinnung eine eher untergeordnete Rolle, aber ganz sicher nicht solche Eigenschaften, die das Kaninchen zum Hausgenossen oder Spielkamerad für Kinder werden lassen.

Das Hauskaninchen verdankt seine Existenz also dem Zweck der Fleischgewinnung, wie andere Nutztiere auch.

Kaninchen als Heimtiere

Die Haltung von Kaninchen als Heimtieren begann erst im späteren 20. Jahrhundert, ist also eine recht neue Erfindung. Besonders beliebt sind dabei die Zwergkaninchen, die rassetypisch nicht nur einfach kleiner sind als andere Hauskaninchenrassen, sondern sich auch im Körperbau unterscheiden. Ihr Aussehen entspricht, auch bei erwachsenen Tieren, dem sogenannten Kindchenschema, mit gedrungenem Körperbau, rundlichem Kopf, großen Augen, kurzen Ohren und kleiner Nase. Dieses Aussehen ruft bei Erwachsenen Fürsorgeverhalten hervor. Man findet Individuen, egal ob Mensch oder Tier, mit diesem Aussehen einfach niedlich und schutzbedürftig.

Wer solch ein niedliches, die Emotionen ansprechendes Tier als Heimtier hält, der kann sich natürlich nicht vorstellen, es zu schlachten oder zu essen. Auch wenn generell Tiere, zu denen Menschen eine emotionale Bindung entwickeln, nicht zur Schlachtung vorgesehen sind, so verstärkt das Kindchenschema diese ablehnende Haltung. Die dann auf andere Kaninchen, oft sogar auf andere Tiere generell, übertragen wird.

Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass Halter von Zwergkaninchen die Frage, ob man Kaninchen schlachten darf, mit einem klaren Nein beantworten.

Mastkaninchen

Es gibt aber nicht nur die Heimtiere, es gibt auch die Mastkaninchen. Und natürlich gibt es Zuchtkaninchen, bei denen sich die Frage stellt, was mit den überzähligen, oder den nicht dem jeweiligen Rassestandard entsprechenden Tieren, geschehen soll. Nebenbei entstehen auch bei der Zucht der Zwergkaninchen immer wieder Kaninchen, die eben nicht kleinwüchsig sind. Diese sind in den meisten Fällen unvermittelbar. Halter solcher Kaninchen entscheiden sich für gewöhnlich für das Schlachten. Dabei hat die Frage, ob sie das dürfen, hier neben der moralischen auch eine juristische Komponente.

Sachkundenachweis und Schlachterlaubnis

Nach dem Tierschutzgesetz darf nur der schlachten, der es kann. Die Tiere dürfen nicht gequält werden, ihnen dürfen keine Schmerzen zugefügt werden. Wer in gewerblichem Ausmaß schlachten möchte, muss dieses Können nachweisen, in einem Sachkundenachweis. Wer nur als Selbstversorger, nur für den eigenen Bedarf schlachtet, der muss es „nur“ können. Dieses Können hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist das Schlachten eine handwerkliche Tätigkeit, die man erlernen kann. Zum anderen muss man es übers Herz bringen, was in der heutigen Zeit nicht jedem gelingt.

Wer gelernt hat, wie man Kaninchen schlachtet, der darf es also, jedenfalls unter juristischen Gesichtspunkten. Bleibt die moralische Frage.

Schlachtkaninchen und artgerechte Haltung

Die Hauskaninchen stammen vom Wildkaninchen ab. Auch wenn sie sich in mancherlei Hinsicht von diesen unterscheiden, so haben sie doch die sprichwörtliche Fruchtbarkeit gemeinsam. Für die Wildkaninchen ist die hohe Vermehrungsrate notwendig, da sie eine große Zahl natürlicher Feinde haben. Hauskaninchen leben weitgehend geschützt vor diesen Feinden. Wenn man sie artgerecht, also nicht einzeln halten möchte, dann muss man sie entweder kastrieren (für Zwergkaninchen zwingend), oder man muss den Nachwuchs zumindest zum größten Teil schlachten. Sonst hat man in sehr kurzer Zeit wirklich sehr viele Kaninchen, was eine artgerechte Haltung unmöglich macht.

Ob die Kastration mit einer artgerechten Haltung vereinbar ist, ist eine andere Frage. In der Natur verbringen die Tiere einen Großteil ihrer Lebenszeit mit der Aufzucht ihrer Jungen. Ob es artgerecht ist, ihnen diese ihre Hauptbeschäftigung zu nehmen, ist ungeklärt.

Schlachtkaninchen zur menschlichen Ernährung

Auch wenn es heute schwer vorstellbar erscheint, so war das Hauskaninchen doch über lange Zeit vor allem für ärmere Leute ein wichtiger Beitrag zur Ernährung. Ohne das Fleisch ihrer Kaninchen hätten viel mehr Leute hungern müssen. Dabei erweist es sich als vorteilhaft, dass Kaninchen vor allem solche pflanzlichen Produkte zu Fleisch umwandeln, die für die menschliche Ernährung nicht geeignet sind. Auch die Konkurrenz zu den großen Nutztieren ist gering, da Kaninchen auch von solchen Flächen ernährt werden können, die für die Haltung von Rindern oder Schafen zu klein oder sonst wie ungeeignet sind. Die Kaninchen fressen die Abfälle und wandeln sie in hochwertiges Fleisch um. Mit dem Wachsen der Erdbevölkerung könnte dieser Aspekt in Zukunft wieder vermehrt an Bedeutung gewinnen.

Es gab also Zeiten, und vielleicht wird es sie wieder geben, zu denen war das Schlachten der Kaninchen nicht nur moralisch erlaubt, es war sogar notwendig. Dagegen könnte der Luxus, den das Halten von Heimtieren ohne weiteren Nutzen bedeutet, vielleicht schon bald der Vergangenheit angehören. Man muss es sich leisten können, Nahrung an „nutzlose“ Fresser zu verschwenden. Sobald Menschen nicht mehr ausreichend ernährt werden können, ist dieser Luxus zumindest moralisch nicht mehr zu vertreten.

In der heutigen Zeit, in der Lebensmittel zum großen Teil industriell erzeugt werden, sodass zwar nicht der Hunger, häufig aber geringe Qualität der Lebensmittel ein Problem darstellt, kann das Kaninchen einen Ausweg bieten. Auch mit begrenztem Platz ist es möglich, eine kleine Zahl von Kaninchen artgerecht zu halten und damit hochwertiges Fleisch für die Selbstversorgung zu erzeugen.

Diese Kaninchen können ihr Leben entsprechend ihren Bedürfnissen verbringen und haben damit, verglichen mit vielen anderen Schlachttieren, ein gutes Leben. Dass dieses Leben nur kurz ist, bedeutet eine Gemeinsamkeit mit ihren Verwandten, den Wildkaninchen, die in Freiheit auch nicht alt werden. Im Unterschied zum Wildkaninchen, das sein Leben wahrscheinlich in den Klauen eines Greifvogels oder eines anderen Fressfeindes beendet, wird das Hauskaninchen nach den Regeln der Kunst tierschutzgerecht und stressfrei geschlachtet.

Auch wenn es heute anders aussieht, so hat der Mensch doch auch irgendwo seinen Platz im Fressen und Gefressen-werden der Natur.

Schlachten oder schlachten lassen?

Wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die Liste der Arbeiten, die wir nicht selbst erledigen, ist lang. Warum soll man also selbst schlachten?

Nur weil man es darf, muss man noch lange nicht selbst schlachten. Es ist in Ordnung, Fleisch von Tieren zu essen, die jemand anders geschlachtet hat. Es ist auch in Ordnung, die eigenen Kaninchen zum Schlachter zu bringen, wenn man sie nicht selbst schlachten möchte. Ebenso kann man für sich entscheiden, dass man Kaninchen nicht essen möchte. Aus welchen Gründen auch immer. Nur die Frage der Vermehrung sollte man in dem Fall rechtzeitig klären.

Eher egozentrisch erscheint dagegen die Ansicht, man dürfe Kaninchen deswegen nicht schlachten, weil das eigene Zwergkaninchen so niedlich und schutzbedürftig wirkt. Natürlich ist es erlaubt, Vegetarier zu werden, wenn man es nicht übers Herz bringt, niedliche, hilflose Tiere zu töten. Weniger akzeptabel ist die Forderung, alle sollten Vegetarier werden.

Der Mensch ist ein Allesfresser, Fleisch ist Bestandteil seiner natürlichen Ernährung. Die frühen Menschen haben gejagt und sich damit nahtlos in die Reihe der Fressfeinde der Kaninchen eingereiht. Heute werden Nutztiere wie Kaninchen gezüchtet und geschlachtet. Die äußere Form hat sich geändert, das Prinzip ist geblieben.

Heute können wir uns den Luxus leisten, Tiere zu füttern, die keinen Nutzen erbringen. Es ist also moralisch vertretbar, nicht alle Tiere zu schlachten und für die menschliche Ernährung zu verwenden.

Beitragsbild: Sergey Lavrentev/Shutterstock